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Willi Sitte & Monika Geilsdorf 
24.09.2022–15.01.2023

 

Gemälde: eine Frau mit kinnlangem braunem Haar und Brille blickt selbstbewusst frontal aus dem Bild. Ihr ärmelloses Oberteil ist rot. Ein Arm ist aufgestützt, in der Hand hält sie eine Zigarette. Im Hintergrund steht eine Staffelei.

Monika Geilsdorf, Selbstbildnis, 1976. Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst, Foto: Winfried Mausolf © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Gemälde: mit lockeren Pinselstrichen ist ein unbekleideter Mann in Frontalansicht bis zur Hüfthöhe dargestellt. Er trägt einen Bauarbeiterhelm und hält eine Farbtube in der Hand.

Willi Sitte, Selbstbildnis mit Tube und Schutzhelm, 1984. Sammlung Hasso Plattner © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Beim ersten WECHSELSPIEL im MINSK Kunsthaus in Potsdam begegnen sich zwei gemalte Selbstbildnisse: das Selbstbildnis mit Tube und Schutzhelm (1984) des Künstlers Willi Sitte (geb. 1921 in Kratzau, Tschechoslowakei; gest. 2013 in Halle/Saale) aus der Sammlung Hasso Plattner und das Selbstbildnis (1976) der Künstlerin Monika Geilsdorf (geb. 1949 in Aue, Erzgebirge; lebt in Leipzig) aus der Sammlung des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst (BLMK).
 
Selbstbildnisse nehmen innerhalb der Porträtmalerei eine besondere Stellung ein, weil sie immer Selbsterkundung und Selbstdarstellung zugleich sind. Um ein Selbstbildnis zu fertigen, müssen die Künstler:innen sich selbst genau betrachten und erkennen. In der Malerei nutzen sie oft das eigene Spiegelbild als Vorlage, müssen sich also selbst in die Augen schauen können. Dieser intensive Prozess kann ohnehin mühsam sein, wörtlich wie sinnbildlich, insbesondere aber dann, wenn die Künstler:innen in einem politisch restriktiven System leben und arbeiten, in dem das tägliche Leben sowie die Kunst dem Menschen besondere existenzielle Entscheidungen abverlangen. 
 
In einem gemalten Selbstbildnis wird jedem Detail Aufmerksamkeit zuteil. Es sind künstlerische Entscheidungen, auf formaler wie auf persönlicher und politischer Ebene, die von den Künstler:innen bewusst getroffen werden, um sich in malerischer Form zu verewigen. Der Blick oder Ausdruck, den die Künstler:innen für sich wählen, ist dabei genauso entscheidend wie die Situation, in der sie sich präsentieren, inklusive ihrer Kleidung und der Attribute, mit denen sie sich abbilden.
 
Im Kabinett des MINSK werden die Selbstporträts an einander gegenüberliegenden Wänden gezeigt, sodass sich die Blicke von Monika Geilsdorf und Willi Sitte mitten im Ausstellungsraum treffen. Doch sie blicken sich damit nicht nur gegenseitig an, sondern schauen zugleich auch auf die Besucher:innen im Ausstellungsraum.
 
Die Spannung zwischen den beiden im Rahmen des WECHSELSPIELS NO. 1 gezeigten Selbstporträts ist stark und beginnt schon bei der Malweise. Der Stil der beiden Künstler:innen könnte nicht unterschiedlicher sein: expressive Pinselstriche bei Sitte und präzise Sachlichkeit und Detailtreue bei Geilsdorf.
 
Während Monika Geilsdorf ihr Werk schlicht mit Selbstbildnis betitelt, gibt Willi Sitte seinem Gemälde den längeren Titel Selbstbildnis mit Tube und Schutzhelm. Damit macht der Künstler auf zwei für ihn augenscheinlich entscheidende Attribute aufmerksam: die Farbtube und den Schutzhelm. Malutensilien wie Tube oder Pinsel sind nicht selten auf Selbstporträts zu entdecken, doch ein Schutzhelm? Sitte zeigt sich als Maler, ist nackt und trägt einen Bauhelm, ein bloßes Arbeitersymbol, oder doch eine Schutz-Metapher, wodurch die Staffelei zugleich zum Schutzschild wird?  
 
Monika Geilsdorf hingegen präsentiert sich nicht etwa mit einem Pinsel, sondern hält auf ihrem Selbstbildnis eine Zigarette, das unverzichtbare Attribut der Modernen, in der Hand. Diese Geste ist nicht neu und erinnert an manch mondänes Selbstbildnis von Max Beckmann oder Elfriede Lohse-Wächtler. Und doch gibt auch Monika Geilsdorf einen deutlichen Hinweis auf ihre Malerinnen-Identität: Wie Willi Sitte integriert auch sie Farbtuben in ihr Selbstporträt, platziert auf dem Holzgerüst hinter ihr. Ihr Oberteil mutet wie ein Trikot an und zeigt ihre muskulösen Schultern. Hinweise auf ihre Kraft und Agilität? Ihre Frisur und die Brille sind von einer frappierenden Modernität. Fast entsteht der Eindruck, das Selbstbildnis sei heute, im Jahr 2022, gemalt worden – nicht nur wegen des Malstils, sondern auch aufgrund der Ästhetik und Anmutung, in der sich die Künstlerin hier zeigt: im Alltag, lässig, ja fast ein wenig erhaben, mit herausforderndem und selbstbewusstem Blick.  

Monika Geilsdorf war Mitglied im Verein bildender Künstler (VBK) der ehemaligen DDR. Ihr Selbstbildnis von 1976 wurde direkt 1977/78 in der VIII. Kunstausstellung der DDR präsentiert. Das, was aus heutiger Sicht als herausfordernder Blick gegenüber dem System, als quasi rebellisch, interpretiert werden könnte, wurde von der Kunsthistorikerin Helga Möbius in ihrer vom Ministerium für Kultur und dem VBK beauftragten Publikation zur VIII. Kunstausstellung aus dem Jahr 1978 als ein Zeichen der anhaltenden Ausdauer im System gedeutet. Somit wird das Subversive, Moderne und Alltägliche von Geilsdorfs Porträt zu einem Zeichen der Unterordnung verkehrt.

Nach systemkritischen Äußerungen sowie zwei Suizidversuchen in den frühen 1960er-Jahren erfuhr der Künstler Willi Sitte, wozu Kritik von oben führen kann: »Was für ein hervorragender Künstler könnte Genosse Sitte sein, wenn er sich konsequent für den sozialistischen Realismus entscheiden könnte«,[1] lautete die eindeutige Forderung des 1. Sekretärs der Bezirksleitung Halle der SED, Bernard Koenen, in der Zeitung Neues Deutschland im Dezember 1962. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Sitte eine selbstkritische Erklärung in demselben Blatt. So wurde 1963 zu einem entscheidenden Jahr für das Werk des Künstlers. Es fand ein Sinneswandel statt, verursacht durch den von einem hohen Funktionär der Partei sowie der Stasi ausgeübten Druck. Diese Erfahrung würde seine Malerei fortan prägen. Belohnt wurde Sittes öffentliches Bekenntnis zur Partei durch eine große Ausstellung 1971 in Halle. 1989 sagte er: »In dem Augenblick, wo die Kunst selbstständig wird, sich unabhängig von Staat und Partei macht, hebt sie sich vom Leben, von den Menschen ab. Ich halte das für sehr gefährlich.«[2] Damit zurück zum Schutzhelm: Bildete eine systemkonforme Malerei den Schutzhelm? Aus heutiger Perspektive könnte der Helm als ein subversiver Kommentar innerhalb eines politischen Systems, das den Künstler gewissermaßen zur öffentlichen Selbstkritik gezwungen hat, verstanden werden. Doch: Kann das einem als »Parteimaler« geltenden Künstler wie Willi Sitte, der stets verschiedene offizielle Ämter im System innehatte, unterstellt werden?  

»Wie viel ›Dafür‹ ist nötig und wie viel ›Dagegen‹ ist möglich, ohne dass man an den Zuständen zerbricht und seine eigenen Wurzeln verrät?« Diese Frage, die die Journalistin und Filmemacherin Sylvie Kürsten in unserer ersten Audiogeschichte stellt, lässt viele Antworten zu, damals wie heute. Es lohnt sich, den beiden Künstler:innen im Kabinett des MINSK aufmerksam zuzuhören, denn sie erzählen nicht nur etwas über das Damals, sondern auch über die Gegenwart und lassen die Zerbrechlichkeit der zu oft für selbstverständlich gehaltenen künstlerischen Freiheit spürbar werden. 

Paola Malavassi, Direktorin DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam


[1] Bernard Koenen, »Erfolg und Schwanken Bildender Künstler«, in: Neues Deutschland, 19.12.1962, S. 6.
[2] Willi Sitte in Renate Luckner-Bien, »Bildende und angewandte Kunst. Gespräch mit Willi Sitte«, in: Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive, hrsg. von Christian Philipsen, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Leipzig 2021, S. 292.
 

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