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ANDY WARHOL & LOUIS ARMSTRONG
WECHSELSPIEL NO. 4
16.9.2023 – 4.2.2024

Farbige Druckgrafik: die berühmte Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist viermal abgebildet: oben zweimal und darunter zweimal. Großflächig darübergelegte Farbbahnen in Blau- und Grüntönen verfremden das Gemälde.

Andy Warhol, Mona Lisa Four Times, 1978. © 2023 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York

Selmer B-Trompete, hergestellt zwischen 1964 und 1965; Trompetenmundstück, »SATCHMO« auf der Außenseite des Cups unter dem rand eingraviert. Courtesy Louis Armstrong House Museum © Louis Armstrong Educational Foundation
Besonderer Dank gilt der Louis Armstrong Educational Foundation. Foto: Ladislav Zajac

»Viele kopieren die Mona Lisa. Und trotzdem stehen die Leute nach wie vor Schlange, um sich das Original anzusehen.« – Louis Armstrong

Parallel zur Ausstellung I’ve Seen the Wall: Louis Armstrong auf Tour in der DDR 1965 treffen sich im Kabinett des MINSK für das WECHSELSPIEL NO. 4 Andy Warhol, Louis Armstrong und die Mona Lisa.

Andy Warhols Mona Lisa Four Times (Viermal Mona Lisa) (1978) aus der Sammlung Hasso Plattner ist einer Originaltrompete von Louis Armstrong aus den Beständen des Louis Armstrong House Museum in Corona, Queens, New York gegenübergestellt.

Als der Sänger Paul Anka, der Louis Armstrong nachahmte,(1) diesen einmal fragte, was er von Imitationen halte, bekam er eine bemerkenswerte Antwort: »Viele kopieren die Mona Lisa. Und trotzdem stehen die Leute nach wie vor Schlange, um sich das Original anzusehen.« Das Zitat tauchte zum ersten Mal in einer Hommage an Louis Armstrong in der Saturday Review am 4. Juli 1970 auf und wurde sofort in weiteren Artikeln aufgegriffen, die im selben Monat über Armstrong erschienen.(2) Inzwischen reproduziert es sich viral und quellenlos im Internet und wurde in viele Sprachen übersetzt – eine weitere Form der Reproduktion.

Das WECHSELSPIEL NO. 4 thematisiert die Frage nach der Bedeutung von Original und Kopie in der bildenden Kunst sowie in der Musik, indem es drei weltweit bekannte Ikonen zusammenbringt: die legendäre Ikone auf Leinwand, Mona Lisa, den wahrscheinlich bekanntesten Pop-Art-Künstler, Andy Warhol, und den berühmtesten Jazzmusiker der Geschichte, Louis Armstrong, bzw. seine Trompete. Bei der ausgestellten Trompete handelt es sich um das Exemplar, auf dem Armstrong in den 1960er-Jahren auf Tour gespielt hat.

Andy Warhol hat Berühmtheiten der Popkultur wie Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Madonna vielfach reproduziert. Der Starkult Hollywoods, Werbung und Massenmedien waren zentrale Aspekte in seinem Werk. Angesichts seines Bekanntheitsgrades hätte auch Louis Armstrong im OEuvre Warhols verewigt sein können. Neben berühmten Afroamerikaner: innen wie Michael Jackson, Diana Ross und Jean-Michel Basquiat hat Warhol in seiner Serie Race Riots auch die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Demonstranten während Ausschreitungen in Alabama festgehalten.(3) Er verwendete Ausschnitte von Zeitungsartikeln, die in der seriellen Wiederholung die Emotionslosigkeit und die Konsumierbarkeit grauenvoller Szenen im Medienalltag zum Ausdruck bringen.

In Mona Lisa Four Times reproduzierte Warhol Leonardo da Vincis Mona Lisa (1503–1506) viermal, in anderen Versionen des Werks bis zu 30-mal. Anlass war, dass das weltberühmte Originalgemälde aus dem Pariser Louvre zum Jahreswechsel 1962/63 erstmalig nach Washington DC reiste. Die Mona Lisa wurde wie ein hochrangiger Staatsbesuch empfangen. Das Gemälde wurde in einer Limousine transportiert und von zahlreichen Sicherheitsbeamten begleitet. Zur feierlichen Ausstellungseröffnung versammelten sich 2.000 wichtige Vetreter:innen aus Politik und Kultur – eine Menschenmenge ähnlich wie die, die sich jeweils in Ost-Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin versammelte, um Armstrong 1965 auf seiner Tour in der DDR zu erleben. Der Besuch der Mona Lisa in Washington DC war vor dem Hintergrund der Kuba-Krise, mitten im Kalten Krieg, eine hochpolitische Angelegenheit.(4)

Tausende von Menschen besuchen noch immer den Pariser Louvre, schlängeln sich durch Absperrungen, ähnlich wie beim Check-in am Flughafen, um einen kurzen Blick auf das Original zu erhaschen. Die Situation ist vergleichbar mit der von Pilger:innen, die einen langen Weg auf sich nehmen, um ein religiöses Relikt, oft erhöht, außer Reichweite und hinter Glas, zu erblicken. Gleichermaßen pilgern Fans zu Popkonzerten. Dort stehen sie mit weiteren 20.000 Menschen Schlange, um teilweise aus großer Entfernung die Stars mithilfe von Liveübertragungen auf der Leinwand zu verfolgen. Auch für Armstrongs Tour durch die DDR verkauften sich wohl allein an einem Tag 18.000 Tickets. In Budapest versammelten sich gleich an einem einzigen Abend 80.000 Menschen, um ihn in einem Stadion live zu erleben.

Die magische Wirkung des Originals scheint gleichermaßen hinter gepanzertem Glas oder in einer Liveübertragung neben der eigentlichen Konzertbühne zu bestehen, und Armstrong behält auch noch heute recht: Die Leute stehen immer noch Schlange, um Originale zu sehen.

Armstrongs Äußerung über Kopie und Original zeugt von Großzügigkeit und Selbstbewusstsein. Er vergleicht sich ganz nebenbei mit der Mona Lisa und setzt seine Musik einem Kunstwerk, einem Unikat, gleich. Es scheint ihm jedenfalls keine schlaflosen Nächte zu bereiten, dass andere sich seine Musik aneignen oder ihn nachahmen. Die Jazzgeschichte ist voll von Neuinterpretationen alter Songs, die zu Neuerungen geführt und zugleich für den Erhalt bestimmter Titel und Kompositionen über Generationen hinweg gesorgt haben. Eine solche Tradition baut auf einem Bewusstsein für die Vergangenheit auf und kombiniert dieses mit der Freiheit, immer wieder etwas Neues und Eigenes daraus zu machen – neue Wege zu beschreiten und neue Interpretationen und Versionen zu imaginieren.

Was ist ein Original und was ist eine Kopie, wenn es um bildende Kunst und um Musik geht? Warhols Mona Lisa Four Times reproduziert die Mona Lisa, ist aber zugleich ein Original Warhols, unverkennbar in der Ästhetik. Die Trompete Armstrongs ist ein Original, das ihn auf seinen Tourneen begleitet hat. Es ist das Instrument, das die Hallen in Ost-Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin erlebt hat.

Jason Moran, Co-Kurator der Ausstellung I’ve Seen the Wall, und ich haben uns entschieden, einen Listening Room für unsere Ausstellung gemeinsam mit dem WECHSELSPIEL NO. 4 im Kabinett des MINSK einzurichten, sodass Armstrongs Konzert in Ost-Berlin als Vinylaufnahme erklingt und die Betrachtung von Warhols Werk und Armstrongs Trompete begleitet.

Wenn man bedenkt, dass die damaligen »Schallplattenunterhalter« im ehemaligen Terrassenrestaurant »Minsk« auch bei wöchentlich stattfindenden Tanzparties nur zu 40 Prozent Musik aus dem Westen spielen durften, erscheint die Tour von Louis Armstrong mit 100 Prozent Musik aus dem Westen ein Jahrzehnt vor dem Bau des MINSK und nur vier Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer außergewöhnlich und ambivalent.(5)

45.000 Menschen erlebten Louis Armstrong in der DDR live. Sie erlebten das, was in der Musik das Original genannt werden kann, einen Liveauftritt, das Einzigartige und Unwiederholbare. Platten aus Vinyl sind dagegen streng genommen die Reproduktion von Musik, doch haben sie in der heutigen digitalen Verbreitung von Musik den Kultcharakter eines Originals gewonnen. Sie sind physische Gegenstände, aber vor allem sind sie gezählt, wie eine Edition in der Kunst.

Mit dem WECHSELSPIEL NO. 4 feiert DAS MINSK Reproduktion und Original – mit einem Original von Andy Warhol, der aus Reproduktionen von Ikonen Originale schuf, mit der Originaltrompete von Louis Armstrong und einem Soundtrack auf Vinyl, der den unwiederbringlichen Sound aus dem alten Friedrichstadt-Palast in Ost-Berlin reproduziert und somit wieder erlebbar macht.

Paola Malavassi 



(1) Es heißt, dass Paul Anka mit »Mackie Messer« einen ähnlichen Erfolg wie Louis Armstrong gehabt habe und dies der Anlass für seine Frage an Armstrong gewesen sein könnte. »Mackie Messer« ist zwar keine Komposition von Armstrong (das Original stammt aus Kurt Weills Musik für die Dreigroschenoper von Bertold Brecht), dennoch wird sie stark mit ihm verbunden, weil er so erfolgreich damit war. Lotte Lenya hat dieses Lied einmal gemeinsam mit Louis Armstrong in Hamburg gesungen.

(2) Ricky Riccardi, Director of Research Collections am Louis Armstrong House Museum (LAHM), in einer E-Mail an die Autorin: »Paul Anka nahm ein Album auf, in dem er Louis Armstrong nachahmte. Als sie sich schließlich trafen, fragte Anka, ob es ihn störe, dass er von Sänger:innen und Komiker:innen nachgeahmt werde. Armstrong zuckte mit den Schultern und sagte diesen berühmten Satz. Es scheint also, dass Louis Armstrong diesen Satz nie selbst aufgeschrieben oder auf Band gesprochen hat, ihn aber gegenüber Paul Anka geäußert hat, der ihn an andere weitergab. Der Satz wurde schließlich 1985 in eine Sammlung von Zitaten von Armstrong aufgenommen«.

(3) Zur Frage nach der Präsenz Schwarzer Menschen im Werk von Andy Warhol empfiehlt sich die Lektüre eines Artikels, der das Machtungleichgewicht zwischen Warhol und den BIPoC Queer- und Trans-Personen aus Lower Manhattan analysiert, die für ihn für eine Werkserie Modell standen. Warhol anonymisiere die Modelle in dieser Werkserie, indem er ihr schlicht den Titel Ladies and Gentlemen gibt, anstatt die abgebildeten Personen beim Namen zu nennen. Siehe: Gürsoy Doğtaş, »How Warhol Erased the Identity of His Black Trans Sitters«, in: Contemporary And, 19.6.2021, https://amlatina.contemporaryand.com/editorial/andy-warhol-black-trans-sitters/ (Zugriff am 2.8.2023).

(4) Vgl. Michael Luethy, Andy Warhol. Thirty Are Better Than One, 1995, https://michaelluethy.de/scripts/andy-warhol-leonardo-mona-lisa-kennedy-kalter-krieg/ (Zugriff am 2.8.2023).

(5) Der rumänische Künstler Dan Perjovschi widmete diesem Umstand bei seiner Intervention For No One and Everyone im April 2021 eine Zeichnung im MINSK. Eine Figur lehnt sich an die alten Mauern des MINSK und sagt: »you can still hear the music, 40% West«.

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