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Olaf Nicolai
Ménage de la maison
22.10.2022 – 7.11.2022

Installation eines quadratischen Labyrinths aus grünen Besenstielen auf einer Grünfläche.

Es mag irritierend wirken, ein frisch saniertes Gebäude kurz nach seiner Eröffnung einem Hausputz zu unterziehen. Doch diese Rhetorik ist typisch für Nicolais Arbeitsweise. Immer wieder bricht der Künstler mit Erwartungshaltungen und voreiligen Beobachtungen. Er hinterfragt Vertrautes und setzt sich akribisch mit den Orten auseinander, an denen seine Arbeiten gezeigt werden. 

In Ménage de la maison wird mit einem grünen Plastikbesen gekehrt und dabei gesprochen, gesummt oder gesungen. Diese Tätigkeit kann im alltäglichen Ausstellungs- und Cafébetrieb des MINSK Kunsthaus in Potsdam zunächst selbstverständlich wirken und vielleicht sogar unbemerkt bleiben. Die Performance lädt die Besucher:innen und Passant:innen jedoch dazu ein, innezuhalten und die Bedeutung dessen, was um sie herum passiert, näher zu erkunden. 

Den grünen Besen, der sinnbildlich für den Hausputz im MINSK Kunsthaus in Potsdam steht, hat der Künstler bereits in einer früheren Arbeit verwendet. Damals ließ Nicolai im Parc de La Courneuve des Pariser Vororts Saint-Denis ein zehn mal zehn Meter großes Labyrinth (1998) aus zahlreichen grünen Plastikbesen der Pariser Stadtreinigung nachbauen. Der Grundriss dieses Irrgartens basierte auf einem barocken Gartenentwurf, der aber durchaus sehr zeitgenössisch ist: Der zurückzulegende Weg entsprach dem Prinzip eines maximal langen Weges auf einer beschränkten Fläche, das heute unter anderem bei der Gestaltung von Einkaufszentren Anwendung findet. Die Hecke aus Plastikbesen veranschaulicht in ihrer geometrischen Form und ihrem artifiziellen Material den schmalen Grat zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit im urbanen Kontext, auf die auch Ménage de la maison anspielt. Ein Hausputz soll, ebenso wie die Stadtreinigung, einen gewünschten beziehungsweise erhofften Zustand wiederherstellen. Der Versuch, diesen Zustand zu erreichen, kann darin münden, dass etwas neu gesehen wird oder etwas Darunterliegendes, gar Verdrängtes, wieder offengelegt wird. Im übertragenden Sinn findet während des Hausputzes eine Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen und Vergangenen statt, wodurch gleichzeitig neue Begegnungen mit Orten, Begebenheiten und Erinnerungen entstehen. Beide Aspekte sind von wesentlicher Bedeutung für DAS MINSK: »Es handelt sich um einen neuen alten Ort, der seine eigene Identität zwischen Erinnerung und Gegenwart finden muss«, so Direktorin Paola Malavassi. 

Ménage de la maison reagiert auch auf die zeitgleich stattfindenden Ausstellungen von Wolfgang Mattheuer und Stan Douglas, die sich ebenfalls mit der von Menschen gestalteten Natur und dem Stadtbild auseinandersetzen. Während in den von ihnen gezeigten Werken der (Schreber-)Garten zum Spiegelbild gesellschaftspolitischer Verhältnisse wird, ist es bei Nicolai das alltägliche Ritual des Putzens, das Anlass bietet, gesellschaftliche Konstrukte und Verhaltensmuster beiläufig zu thematisieren.

Text: Marie Gerbaulet, Kuratorin der Performance 

Konzept: Olaf Nicolai
Performer:innen: Meike Droste, Thomas Rudnick 
Kuratorin der Performance: Marie Gerbaulet 
Dramaturgische Assistenz: Sylvie Kürsten 
Produktionsassistenz: Alina Stoll
 

Olaf Nicolai, Ménage de la maison

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Bildergalerie

Olaf Nicolai, geboren 1962 in Halle/ Saale, lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Literatur- und Sprachwissenschaft in Leipzig, Wien sowie Budapest und wurde 1992 mit einer Arbeit über die Wiener Gruppe promoviert. Nicolai erhielt 2017 für seinen Beitrag In the woods there is a bird... zur documenta 14 den Karl-Sczuka- Preis für Hörspiel als Radiokunst. 2015 bespielte Olaf Nicolai als Beitrag zum Deutschen Pavillon auf der 56. Biennale di Venezia das Dach des Pavillons mit der siebenmonatigen performativen Installation GIRO.

Seine künstlerischen Arbeiten und Projekte wurden in internationalen Ausstellungen u.a. in den folgenden Institutionen gezeigt: Mathilden- höhe Darmstadt, Kunsthalle Wien, MAXXI in Rom, Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, Centre Georges Pompidou und Musée du Louvre in Paris, Pinakothek der Moderne in München, Kestner Gesellschaft in Hannover, MoMA in New York, Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich, WATARI-UM in Tokyo.

Olaf Nicolai, GIRO

Die Performance Ménage de la maison schafft eine Situation, die von den Besucher:innen  bemerkt werden kann, aber nicht bemerkt werden muss. Geradezu beiläufig findet sie statt, gleichgültig, ob ein Publikum am Ort ist oder nicht. Die Zuschauenden erleben eine mögliche Variation, nie aber das ganze »Stück«, und trotzdem ist das Werk in all seinen denkbaren Ausführungen stets präsent. Hier knüpft Olaf Nicolai an verschiedene Ideen an, die er in früheren Arbeiten entwickelt hat:

Für Innere Stimme, das erstmals 2010 in Berlin aufgeführt wurde, schrieb der Künstler eine Anweisung für eine Performance, die auf Robert Schumanns Klavierstück Humoreske, Op. 20 für zwei Hände basiert. Bei diesem Stück befindet sich auf einer Seite der Partitur eine dritte Notation, die nur für die Interpret:innen sichtbar ist, aber nicht gespielt wird, und von deren Existenz das Publikum nichts weiß. In der Performance können die Sänger:innen improvisieren und entscheiden, wie sie die Notation vortragen, nur die Melodie ist festgelegt. In seiner Arbeit bringt Nicolai hier das, was nur für die Pianist:innen lesbar ist und ihr Spiel auch unbewusst beeinflusst, in den öffentlichen Raum.

Auch GIRO, Olaf Nicolais Beitrag zum Deutschen Pavillon 2015 auf der 56. Biennale di Venezia, passierte täglich, war aber nie in seiner Gänze zu erleben. Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung befanden sich Personen auf dem Dach des Pavillons und gingen dort für die Besucher:innen nicht sichtbaren Handlungen nach. Nur wenn die Performer:innen sich an der Kante des Dachs bewegten, um einen Bumerang zu werfen, konnten sie vom Publikum in den Giardini gesehen werden, wenn dies gerade in dem Moment nach oben schaute oder von der Anwesenheit der Performer:innen wusste. Die Bumerangs, die in einer Werkstatt auf dem Dach angefertigt wurden, verblieben als beiläufige Gesten und Relikte einer Performance in der Stadt im Umlauf. Wie Ménage de la maison lebte auch GIRO davon, zufällig beobachtet zu werden.

Auf der Erfahrung einer scheinbar zufälligen Beobachtung basiert auch die Arbeit Garten mit Zwillingen, die seit 2002 an verschiedenen Orten realisiert wurde. Ein eineiiges Zwillingspaar bewegte sich hier für einen festgelegten Zeitraum in einem öffentlichen Garten. Wie sie ihre Zeit dort gestalteten, war ihnen freigestellt – ihr Aufenthalt sollte den Besucher:innen ungeplant und beiläufig erscheinen, ein kurzer Moment der Irritation, der das Erwartete übertrumpft und eine andere Lesbarkeit der Wirklichkeit offenbart. Immer wieder schafft Olaf Nicolai in seinen Arbeiten solche Kipppunkte und ambivalenten Momente: Die Kunst ist da, aber nicht gleich als solche erkennbar. Alles könnte auch etwas ganz Anderes sein, wenn der Kontext sich verschiebt, in dem wir es wahrnehmen.

Text: Leonie Pfennig

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